Schachclub Hansa Dortmund e.V. vollzieht eine Zeitenwende
Spätestens 1987 nannte Pit Schulenburg, damaliger Spielleiter des Schachclub Hansa Dortmund, Mannschaftsführer von Hansa I und Herausgeber der Vereinszeitung NOMEN NESCIO (N²) seine Truppe die „Elefanten“, eine Anspielung auf Schwergewichte, in diesem Fall wohl in Schach. Hansa II waren die „Tiger“.
Spieler mit zweistelliger INGO-Zahl, später mit einer DWZ/ELO über 2000 machten seit der Gründung der Schachabteilung der Ruderclubs und auch später beim SC Hansa schon immer einen auffallend hohen Anteil der Vereinsmitglieder aus.
War man mit INGO 130 oder später DWZ 1800 in einem beliebigen Verein schon unter den „besseren“ Spielern, fand man sich bei Hansa im unteren Drittel der nach Spielstärke geordneten Mitgliederliste.
In den knapp 50 Jahren der Vereinsgeschichte hat so ziemlich jeder Spitzenspieler bzw. Titelträger aus Dortmund und Umgebung für den Schachclub Hansa Dortmund gespielt, aber auch viele Schach-Asse aus der ganzen Welt.
Die Namen von Schach-Juwelen wie Bruno Böhmfeldt, Jerzy Konikowski, die Mainka-Zwillinge, Rudi Sevaty († 1994), Rainer Woller, Jürgen Krebs, Andreas Visetti und Deto Bischof sind in den Mannschaftsaufstellung der Hanseaten in den 1970-80er zu finden.
Romuald Mainka kehrte übrigens mehr als 30 Jahre später als GM zurück zu Hansa und spielte im Kader der Bundesliga-Mannschaft.
Als die „Elefanten“ 1986/7 schwächelten und aus der NRW-Liga abstiegen, wurden sie in N² zu „Trampelfanten“ abgekanzelt. Prompt führte diese verbale Attacke zum medialen Gegenangriff. Die „Trampelfanten“ forderten die „Papier-Tiger“ heraus. Die „Elefanten“ gewannen diesen Zehnerkampf glücklich und äußerst knapp mit 5,5:4,5.
In der Saison 1990/91 spielten die „Elefanten“ und die „Tiger“, also Hansa I und II in derselben Liga (NRW-Verbandsliga), allerdings in zwei unterschiedlichen Gruppen. 2000/01 trafen sich die Spitzen-Hanseaten wieder in einer Liga, diesmal allerdings schon in der NRW-Regionalliga, in der vierthöchsten Spielklasse. So üppig war das Angebot von Spitzenspielern bei Hansa mehr als zwei Jahrzehnte lang.
Zwei Jahre lang in den späten 1990ern war die Nummer 1 von Hansa sogar eine Spitzenspielerin, nämlich die deutsche sowie jugoslawische Meisterin WGM Jordanka Mičić (verh. Belić), ein seltenes Phänomen in Schachvereinen.
Ab der Jahrtausendwende ergänzten immer mehr auswärtige und ausländische Normträger die Riegen der „Elefanten“. Den Anfang machte IM Vyacheslav Klyuner (Slawa). Ihm folgten die beiden IMs Bernd Kohlweyer und Thomas Henrichs († 2022) aus der unmittelbaren Umgebung Dortmunds. Die Mannschaftsführung hatte zu diesem Zeitpunkt der Namensvetter unseres Vereinsgründers, Carsten Neumann, inne. Im Team spielten FM Hansjörg Himmel und sogar ein Hansa-Jugendlicher namens Victor Franco.
Ein weiterer IM wechselte in dieser Zeit zu Hansa I, Oleg Eismont. Eigengewächs Uli Wolfs Name ist in den Mannschaftsaufstellungen präsent, genauso wie der langjährige 2. Vorsitzende Wolfgang Prüske sowie Roland Lucht, Dirk Schiefelbusch, Wolfgang Düngen oder später Thomas Rumpf, der Jugendtrainer von Hansa.
Dass zwischen der Saison 2002/3 und 2005/6 selbst die unterste der 6 Mannschaften von Hansa in der Bezirksklasse spielte widerspiegelt die „Kopflastigkeit“ des Vereins in dieser Zeit.
In der ersten Zweitliga-Saison 2006/7 taucht der Name von FM Hans-Werner Ackermann auf, einem Teilnehmer des „Hansa-Einladungsturniers“ von 1974, damals noch bei Menden. So klein ist doch die Schachwelt. Später wurde er der Senioren Meister von Deutschland.
Für große Ziele braucht man große Namen, also holte Hansa zur Saison 2008/9 GM Kasparov. Nein, nicht den Weltmeister Garry, sondern den Namensvetter Sergey K. ans erste Brett. Ihn ergänzten der Isländer GM Hedinn Steingrimsson und das junge belgische Talent Tanguy Ringoir.
Regionale Größen wie Arek Kalka (später IM und Dr. der Physik) und der Polizei-Hauptkommissar und Rekordmeister der Deutschen Polizeimeisterschaft FM Ralf Kotter waren zu dem Zeitpunkt auch im Einsatz für Hansas Flaggschiff.
Der Aufstieg in die höchste deutsche Liga in der Saison 2009/10 gelang formal mit dem Schweden GM Emanuel Berg am Spitzenbrett und dem „Dortmunder Jung“ IM Olaf Wegener. Inzwischen war auch ein anderer Olaf, IM Heinzel mit am Brett, ebenso wie ein künftiger Spielleiter von Hansa Frank Karger.
Andreas Warsitz, inzwischen langjähriger Mannschaftsführer, Vorsitzender und Macher des Vereins, verzichtete noch auf das große Abenteuer, Schachbundesliga. Eine Saison später wurde der Kader mit dem einzigen Dortmunder GM Eckhard Schmittdiel verstärkt.
Ersatz spielte FM Michael Babar, der sich zusammen mit dem langjährigen 2. Vorsitzenden Wolfgang Prüske anschließend auch um die Organisation des Spitzenschachs bei Hansa kümmerte.
Als Zweiter hinter SG Porz Köln, der das Konzept der Schachbundesliga grundsätzlich ablehnt(e) und auf den Aufstieg wie immer verzichtet(e), wagte Hansa 2011 mit einem 18er Kader den Sprung auf die höchste Ebene.
Aus „regionalem Anbau“ stammt der Jugendlich IM Patrick Zelbel, ein weitere „Dortmunder Jung“, der über Hansa den Weg in die Schachspitze fand.
Der Lemgoer GM Matthias Blübaum (damals FM), wenige Jahre später die Nummer eins in Deutschland und 2022 Europameister, belegte das 2. „Jugendbrett“ von Hansa I.
Doch auch der gute Riecher von MF Andreas Warsitz, junge unbekannte Talente zu Hansa zu lotsen, reichte nicht aus und wir stiegen sehr unglücklich nach Brettpunkten ab. Ausgerechnet in der Saison zog sich auch keine Mannschaft zurück und es verzichtete kein Aufsteiger auf sein Aufstiegsrecht, eigentlich ein festes Ritual seit Bestehen der SBL.
Fünf Unentschieden in neun Mannschaftskämpfen verhinderten den direkten Wiederaufstieg eine Saison später. Platz 4 und diesmal folgten die ersten drei Platzierten dem besagten Brauch und lehnten den Aufstieg ab. Kein neuer Westverein in der SBL, unfassbar. Warum auch nicht ein Jahr zuvor!
Verstärkt mit dem serbischen GM Robert Markus und dem polnischen GM Bartlomiej Heberla gelang der Wiederaufstieg, wieder mal hinter Porz, einem Verein der konsequent das Aufstiegsrecht ablehnte.
Für einen ungefährdeten Klassenerhalt sorgten 2014/15 in der SBL auch am Spitzenbrett der damals 15-jährige GM Alexander Donchenko, später ebenfalls Nummer eins in Deutschland. Nie zuvor und danach wagte es ein Verein in der selbst erklärt stärksten Liga der Welt, einen so jungen Schachspieler dem Spitzenbrett zu überlassen.
Noch jünger war ein weiterer Zugang von Hansa, ein späterer Junioren-Weltmeister, das iranisch-norwegische Wunderkind GM Aryan Tari.
Der sympathische und in zeitweilig in Dortmund lebende serbische GM Misa Pap war einer der letzten Zugänge der „erstklassigen Denker“, genauso wie der unbekümmert wirkende IM León Mons mit der unverwechselbaren Frisur.
Schachtrainer FM Ufuk Tuncer war als Spieler und Co-Organisator mit an Bord.
Ein Baby-Elefant sorgte in der letzten SBL-Saison für Furore, der damals titellose Bengel Kevin Schroeder schlug GM Philipp Schlosser vom deutschen Serienmeister.
Die Mischung aus „Dortmunder Jungs“, jungen unbekannten Talenten und auswärtigen GMs bildete das wohl authentischste Team der SBL, doch der Rückzug erfolgte trotz sportlich geschafften Klassenerhalts. Mangelnde Ressourcen, in erster Linie Sponsoren, setzten die erstklassigen Denker Schachmatt.
IM Dr. Christian Scholz und der Rückkehrer Slawa waren die Vielspieler von Hansa I in der letzten regulären Saison vor der Pandemie, die lange unterbrochen und erst 2021 fortgesetzt wurde.
Auch unser dänischer Meistertrainer Niels Christensen konnte den Abstieg 2021/22 aus der 2. Bundesliga West in der vorletzten Saison und aus der NRW-Oberliga in der abgelaufenen Saison 2022/23 nicht verhindern.
Bei den hier nicht namentlich erwähnten „Elefanten“ möchte ich mich an dieser Stelle entschuldigen, denn weit über 100 nationale und internationale Top-Spieler dieser Sportart haben am Brett für Hansa gekämpft. Diese Zahl übersteigt meine Kapazität der Recherche, zumal ich nicht immer aktiv dabei war.
Bei ALLEN Spitzenspielern möchte ich mich im Namen des Vereins für ihren Einsatz in unserem Flaggschiff bedanken.
Mit einer gehörigen Portion Wehmut blicke ich auf mehrere Jahrzehnte Spitzenschach bei Hansa zurück. Es hat mich als Mitglied des bald 50-jährigen Vereins stolz gestimmt, unter der hanseatischen Flagge irgendwo am Brett zu sitzen, wenn auch meist ein paar Ligen tiefer als die „Elefanten“ oder „Tiger“.
Spitzenschach hat der Reputation unseres Vereins zweifelsohne gut getan, uns viele neue Mitglieder beschert und bestehende an den Verein gebunden, auch dank der Präsenz von Spitzenspielern an Vereinsabenden.
Ich habe aber auch großen Respekt und volles Verständnis für die Entscheidung der Vereinsführung, eine Zeitenwende bei Hansa herbeizuführen, die „Elefanten“ zurückzuziehen und nun die „Tiger“ ins Rennen zu schicken. Spitzenschach kostet nun mal einiges. Viel Geld, das nicht aus Mitgliedsbeiträgen zu stemmen ist, sondern nur durch freiwillige Spenden oder Sponsoren.
Für ein echtes Sponsoring fehlen im Schachsport fundamentale Voraussetzungen. Eigentlich hat Schach ein brillantes Image und ist nahezu prädestiniert, Geldgeber anzuziehen.
Mangelnde mediale Präsenz von Schach im Allgemeinen und insbesondere in der breiten Öffentlichkeit, aber auch die Fußball-Lastigkeit der einseitigen Sponsorenlandschaft in Dortmund waren und sind die beiden wichtigsten Gründe für die kaum mögliche Umsetzbarkeit von zuverlässigem und finanzierbarem Spitzenschach auf Vereinsbasis in Dortmund.
Zudem bindet Schach auf diesem Niveau sehr viel Kraft, fordert Herzblut und stellt Freundschaften und die Verbundenheit der Vereinsmitglieder auf eine harte Zerreisprobe. Das ist mir und uns irgendwann nicht genug Wert gewesen. Die logische Konsequenz ist ein Abschied von den „Elefanten“. In diesem Sinne spreche ich an dieser Stelle allen Schachgrößen von Hansa noch einmal meinen Dank für ihren Einsatz und den Verantwortlichen mein Lob für ihre Jahrzehnte lange wertschätzende und ehrenamtliche! Arbeit aus und wünsche unserem Verein, dem Schachclub Hansa Dortmund e.V. eine erfolgreiche Zukunft, auch ohne „Elefanten“ im Schachzirkus.