Zum Inhalt springen

Visionär und Schach-Macher

Klaus Neumann wurde am 15. März 1931 in Petersdorf/Schlesien (heute Piechowice/Polen) geboren und floh als 14-jähriger gegen Ende des zweiten Weltkrieges mit Mutter und Schwester in den Westen. Er erlernte er bei Hoesch in Schwerte zunächst den Beruf des Schlossers, besuchte danach das Abendgymnasium und machte anschließend eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann. Bis zum Lebensende war er als Versicherungsmakler tätig.

Über seine erste Begegnung mit dem königlichen Spiel ist nichts Genaues bekannt, dennoch zieht sich Schach wie ein roter Faden durch sein Leben, als Spieler in zahlreichen Turnieren, als Initiator und Organisator des bedeutendsten Turniers in Dortmund, als Gründer der Schachabteilung beim RC „Hansa“, als Schachjournalist und als Betreiber eines Schachladens in Dortmund.

Klaus Neumann – Weltmeister Michail Botwinnik, Dortmund, Hotel Römischer Kaiser, 3. Juli 1961
Klaus Neumann – Weltmeister Michail Botwinnik, Dortmund, Hotel Römischer Kaiser, 3. Juli 1961

Klaus Neumann war in den 1970er Jahren aktives Mitglied des ältesten Dortmunder Schachvereins DSV 1875. Zusammen mit seinen Schachfreunden, u.a. mit Friedhelm Bachmann nahm er an vielen Schachturnieren teil, so auch in Hastings (GB) und Wijk aan Zee und Beverwijk (NL). Er lernte bei diesen Veranstaltungen zahlreiche Schachspieler, auch Spitzenspieler, kennen und pflegte schon früh enge Freundschaften mit vielen Gleichgesinnten. Beeindruckt von der Atmosphäre dieser Turniere keimte bei ihm zugleich die Idee auf, in seiner Heimatstadt Dortmund ein Turnier von internationalem Format ins Leben zu rufen.

Dortmund hatte nach dem Wirtschaftswunder den Ruf einer reinen Industriestadt, geprägt von Stahl und Kohle, Bier und Fußball. Den neuen Chef des Presseamts der Stadt, Eugen Schackmann, einen weltoffenen und innovativen Mann, der das Image der Stadt ändern wollte, konnte Klaus Neumann in seiner gewinnenden Art für diese Idee begeistern, so dass sich Dortmund 1972 um die Austragung des Weltmeisterschaftskampfes Boris Spasskij gegen Robert Fischer bewarb, später bekannt auch als das Schach-Jahrhundertereignis.

Zwei Visionäre, ein Vorhaben – Eugen Schackmann und Klaus Neumann, Quelle: vermutlich Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) 1990er Jahre.
Zwei Visionäre, ein Vorhaben – Eugen Schackmann und Klaus Neumann, Quelle: vermutlich Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) 1990er Jahre.

Zwar scheiterte dieses tollkühne Vorhaben an den exzentrischen Forderungen des späteren Weltmeisters, als Belohnung für den Enthusiasmus des Triumvirats Neumann, Bachmann und Schackmann vergab der Deutsche Schachbund (DSB) aber die 2. internationale Deutsche Schach-Einzelmeisterschaft vom 17. Mai bis 2. Juni 1973 an Dortmund.

Das war die Chance, Dortmund in den Mittelpunkt der (deutschen) Schachwelt zu rücken. Klaus Neumann war schon in jungen Jahren bestens in der Szene vernetzt, insbesondere mit Spitzenspielern auf höchstem Niveau, und so veranstaltete er im Anschluss an dieses Turnier ein weiteres hervorragend besetztes, nämlich die „1. Dortmunder Schachtage“ vom 3. bis 15. Juni 1973. Dieses Turnier organisierte er viele weitere Jahre, später zog es unter dem Namen „Sparkassen- Chessmeeting“ immer wieder namhafte Großmeister und mehrere künftige Weltmeister nach Dortmund.

Reinhard Forthaus, Klaus Neumann, Peter Schulze, Organisation „Dortmunder Schachtage“ 1970er Jahre
Reinhard Forthaus, Klaus Neumann, Peter Schulze, Organisation „Dortmunder Schachtage“ 1970er Jahre

Eine weitere herausragende Leistung Klaus Neumanns als Schach-Organisator war es, parallel zu den „Internationalen Dortmunder Schachtagen“ Turniere von höchstem internationalen Format nach Dortmund zu holen, beispielsweise die Weltmeisterschaft der Damen 1977 und Jugend-Weltmeisterschaft 1980 mit dem Sieger Garry Kasparov.

1973 waren zwei mit renommierten Spielern besetzte Turniere nacheinander in Dortmund das Highlight der deutschen Schachszene, das hatte es zuvor noch nie gegeben. Bedenkt man, dass ein Jahr zuvor die Olympischen Spiele in München und ein Jahr später die Fußball-WM eigentlich im Mittelpunkt des medialen Interesses standen, ist dieser Kraftakt noch höher zu bewerten.

War das die Initialzündung für das nächste Vorhaben von Klaus Neumann?

Der Dortmunder Schachhistoriker Siggi Zill berichtet, dass der Auslöser für Klaus Neumanns Austritt aus dem DSV 1875 ein Zwist innerhalb des Vereins bei einem Turnier war. Womöglich trug sich Klaus Neumann aber schon länger damit, einen eigenen Schachverein zu führen, und nahm die Angelegenheit als Grund gerne wahr.

Gründung der Schachabteilung per Handschlag besiegelt. v.l. Manfred Krause, Ludwig Blömeke (Klub-Präsident RC „Hansa“), Klaus Neumann, Friedhelm Bachmann, 1973–74.
Gründung der Schachabteilung per Handschlag besiegelt. v.l. Manfred Krause, Ludwig Blömeke (Klub-Präsident RC „Hansa“), Klaus Neumann, Friedhelm Bachmann, 1974

So trat er zusammen mit einigen spielstarken Spielern des DSV 1875 aus. Kurz vor Weihnachten 1973 bewegten sie zum ersten Mal in den Räumen des Ruderclubs „Hansa“ die Schachfiguren über das Brett. Die Geburtsstunde des Schachclubs Hansa, der sich zehn Jahre später als eigenständiger Verein etablierte.

Der Name „SC Hansa Dortmund“ sollte in der Schachszene bekannt werden. Im Frühjahr 1974 war Klaus Neumann als Veranstalter und Spieler im hervorragend besetzten Turnier „Schach im Ruderclub Hansa“ am Zuge, im Mai desselben Jahres war niemand Geringeres als die Weltmeisterin Nona Gaprindaschwili sein Gast bei einem Blitzturnier im Clubhaus.

Zu Beginn der Saison 1974/75 startete seine Schachabteilung des RC „Hansa“ in der 2. Kreisklasse der Schachgemeinschaft Dortmund und schaffte Jahrzehnte später sogar den Einzug in die erste Schachbundesliga.

Schach-Weltmeisterin Nona Gaprindaschwilli zu Gast bei der Schach- abteilung des RC „Hansa“. Sitzend von links Klub-Präsident Ludwig Blömeke, Nona Gaprindaschwili, Klaus Neumann, Dr. Hans G. Pärli. Dahinter stehend die Schach-Hanseaten, u.a. zu Nona gebeugt Friedhelm Bachmann, Inge Krüger, mittig Wolfgang Rogner.
20. Mai 1974, Bild WR/Goeke
Schach-Weltmeisterin Nona Gaprindaschwilli zu Gast bei der Schachabteilung des RC „Hansa“. Sitzend von links Klub-Präsident Ludwig Blömeke, Nona Gaprindaschwili, Klaus Neumann, Dr. Hans G. Pärli. Dahinter stehend die Schach-Hanseaten, u.a. zu Nona gebeugt Friedhelm Bachmann, Inge Krüger, mittig Wolfgang Rogner.
20. Mai 1974, Bild WR/Goeke

Klaus Neumann war ein akribischer Schachjournalist und ein begeisterter Nachtarbeiter. Alleine 1974 publizierte er mehr als 30 Artikel in Dortmunder lokalen Zeitungen mit damals hohen Auflagen und lenkte auch die Aufmerksamkeit des breiten Publikums auf das Schach in Dortmund. Er schrieb über Jahre in den Wochenendausgaben der Ruhr-Nachrichten, des Westfalen-Blatts und der Westfälischen Rundschau eher aus Leidenschaft als für die bescheidenen Honorare die „Schachecke“, bestehend aus einer aktuellen oder historischen Partie sowie einer Studie oder einem Problem mit der Auflösung in der Folgewoche. Zudem erschienen aus seiner Hand unzählige Berichte über die Schachturniere der Schachgemeinschaft Dortmund, deren Pressewart er viele Jahre lang war.

„Unsere Schachecke“ vom 20.07.1974, Ruhrnachrichten

Gewiss hätte er den Medienpreis des DSB (vergeben 1977–98) für diese enorme Leistung verdient. Immerhin erhielt seine Wahlheimat, die Stadt Dortmund, im Jahre 2000 als erster Träger überhaupt den „Deutschen Schach- preis“, den Nachfolger des Medienpreises. Die Basis für diese Ehrung hat ohne Zweifel Klaus Neumann geschaffen, der 1999 selbst den Ehrenteller des DSB als persönliche Wertschätzung seines Schaffens für das Schach entgegen nehmen durfte.

Zusammen mit seiner Ehefrau Marianne, die wohl die meiste Zeit das Geschäft am Laufen hielt, ihrem Ehemann aber auch im Hintergrund bei der Turnierorganisation wie beim Empfang der Schach-Gäste aus aller Welt half, betrieb Klaus Neumann seit 1981 einen kleinen Schachladen in Dort- mund-Hörde. „Dortmunds einziges Fachgeschäft für alles, was mit Schach zu tun hat“, der in einer Anzeige im Vereinsheft als „Wohnungslädchen“ bezeichnet wird, komplettierte sein Schachleben als Spieler, Gründer, Initiator, Organisator und Verfasser.

Anzeige Neumanns Schachladen, Vereinszeitung SC Hansa 1/1992

Klaus Neumann war abseits der 64 Felder ein Freund des Jazz, besuchte viele Konzerte und war wohl auch mehr als nur ein regelmäßiger Gast des bekannten Dortmunder Jazzklubs „Domicil“, der 1969 in der Dortmunder Nordstadt gegründet wurde und nach dem Umzug bezeichnenderweise inzwischen in der „Hansa“-Str. residiert.

Mit „Schachmatt“ beginnt der Text der Todesanzeige des am 28. November 1999 plötzlich verstorbenen Klaus Neumann, der als „Schach-Macher“ mit seinem Lebenswerk ein gehöriges Stück der Dortmunder Schachhistorie schrieb und diese immer noch nachhaltig prägt.

Sommer 2022
Von Dr. Pouya Majdpour (SC Hansa Dortmund)
mit freundlicher Unterstützung und Überlassung der Bilder: Claudia und Christoph Pragua, Siggi Zill (verstorben 2021), Schachhistoriker, Pressesprecher und Mit-Organisator der Dortmunder Schachtage

Schlagwörter: